Die Entstehung der wissenschaftlichen Weltsicht
Ausgangspunkt für die Entstehung der wissenschaftlichen Weltsicht war eine Situation, in der für viele Menschen immer offensichtlicher wurde, dass die religiöse Weltsicht ihre Probleme nicht lösen würde. Die religiöse Weltsicht entwickelte sich mit ihrem Dogmatismus immer mehr zu einer Belastung und Einschränkung. Die Menschen fühlten sich erdrückt, bevormundet und mit ihren Problemen alleingelassen.
In dieser Situation begann die Entwicklung von technischen Geräten wie Ferngläsern. Durch sie erweiterte sich die menschliche Wahrnehmung und es wurde möglich, die Welt genauer unter die Lupe zu nehmen. Man entdeckte, dass sich diese Welt in bestimmten Konstellationen auf eine genau vorhersagbare Weise verhielt, die sich zu allem Überfluss auch noch mit Hilfe der Mathematik exakt beschreiben ließ.
Wenn man wusste, wie sich die umgebende Welt unter bestimmten Ausgangsbedingungen verhielt, dann konnte man durch die gezielte Beeinflussung der Ausgangsbedingungen gewünschte Wirkungen erzielen. Der Mensch erhielt durch diese Entwicklung ein erheblich größeres Maß an Kontrolle über seine Umwelt, als er es vorher hatte.
Das sind zwei Errungenschaften der neu geborenen Wissenschaft, die ich noch einmal klar herausstreichen möchte:
- Bestimmte Konstellationen der den Menschen umgebenden materiellen Welt lassen sich mit Hilfe der Mathematik in ihrem Verhalten vollkommen exakt beschreiben.
- Die so erworbenen Informationen ließen sich bis zu einem gewissen Grad für technische Entwicklungen und eine teilweise Kontrolle über bestimmte Prozesse in der menschlichen Umgebung einsetzen.
Kurze begriffliche Anmerkung: Die Wissenschaft betrachtet bestimmte Ausschnitte der Welt. Diese werden auch als "Systeme" bezeichnet. Ein System ist ein aus mehreren Teilen zusammengesetztes Ganzes bzw. eine Menge von zueinander in Beziehungen stehenden Elementen, die in ihrer Gesamtheit als Einheit gesehen werden können.
Ich möchte das, was in der Geburtsstunde der Wissenschaft entstand, als die "Ur-Wissenschaft" bezeichnen. Sie stellt den "wahren Kern der Wissenschaft" dar. Schauen wir uns die Komponenten der Ur-Wissenschaft im Detail an:
- Ein klar umrissenes Teil-System der den Menschen umgebenden Welt, z.B. ein Planet, der eine Sonne umkreist oder eine Kugel, die eine schiefe Ebene herunterrollt
- Der Mensch kennt ALLE Elemente dieses Systems.
- Der Mensch kennt ALLE verhaltensbestimmenden Einflussfaktoren des Systems.
- Das Verhalten lässt sich mit Hilfe von Mess- und Beobachtungsmethoden VOLLSTÄNDIG erfassen.
- Das durch Beobachten und Messen ermittelte Verhalten lässt sich mit Hilfe der Mathematik beschreiben. Das bedeutet: Wenn man alle Ausgangsbedingungen kennt, dann kann man mit Hilfe mathematischer Formeln das Verhalten des Systems zu einem bestimmten Zeitpunkt VOLLKOMMEN EXAKT vorherbestimmen.
- Die Erkenntnis lässt sich zum Nutzen des Menschen einsetzen.
Der letzte Punkt mit dem Nutzen ist diskussionswürdig, weil man natürlich auf dem Standpunkt stehen könnte, Wissenschaft braucht keinen Nutzen - allein die Wahrheit ist von Interesse. Der Grund, warum ich diesen Punkt hier aber dennoch anführe, ist der, dass im Rahmen der unzulässigen Verallgemeinerung des wissenschaftlichen Prinzips Dinge behauptet werden, die nicht wahr sind, was aber nicht unbedingt leicht zu sehen ist. Das sicherste Kriterium ist dann die Anwendbarkeit bzw. der Nutzen. Was praktisch funktioniert, ist auf jeden Fall wahr. Alles andere könnte auch einfach nur eine schöne Geschichte sein. Darauf werde ich zu gegebener Zeit zurückkommen.
Damit haben wir den Teilbereich der Realität abgesteckt, auf den das Konzept "Wissenschaft" anwendbar ist und für den es funktioniert: Systeme, deren Verhalten vollkommen exakt mit Hilfe der Mathematik beschrieben und damit vorausgesagt werden kann, weil man alle Elemente und alle verhaltensbestimmenden Einflussfaktoren kennt.
Diese Entwicklung geschah aus einer Situation heraus, in der die Kirche den Menschen erzählte, ein Gott hätte die Kontrolle über das, was um sie herum geschieht. Nun aber hatten die ersten Wissenschaftler herausgefunden, dass sich das Geschehen um sie herum in bestimmten Konstellationen mathematisch exakt beschreiben ließ. Was lag also näher, als diese Situation zu nutzen, um sich der Kirche und ihres Dogmatismus ein für alle Mal zu entledigen:
"Nicht Gott bestimmt das Geschehen, sondern das Verhalten der Welt wird von Naturgesetzen bestimmt und wir - die Wissenschaftler - können diese Naturgesetze finden."
Ein Beispiel dafür ist Galileo Galilei's Schrift "Saggiatore":
"Die Philosophie steht in diesem großen Buch geschrieben, dem Universum, das unserem Blick ständig offen liegt. Aber das Buch ist nicht zu verstehen, wenn man nicht zuvor die Sprache erlernt und sich mit den Buchstaben vertraut gemacht hat, in denen es geschrieben ist. Es ist in der Sprache der Mathematik geschrieben, und deren Buchstaben sind Kreise, Dreiecke und andere geometrische Figuren, ohne die es dem Menschen unmöglich ist, ein einziges Wort davon zu verstehen; ohne diese irrt man in einem dunklen Labyrinth herum."
(Quelle der Übersetzung: Wikipedia am 17.07.2017 unter "Galileo Galilei")
Es sind 2 Dinge, die Galileo Galilei hier tut:
- Er verallgemeinert ein Vorgehen, das für einen bestimmten Teilbereich der Realität erfolgreich war so, als ob es in gleicher Weise auf das ganze Universum anwendbar wäre.
- Er nutzt diese Verabsolutierung dann, um die wissenschaftliche Methode zur einzig legitimen Form von Erkenntnisfindung zu erheben (was religiöse Formen von Erkenntnis obsolet werden lässt).
Ich bezeichne diese Art der Schlussfolgerung als "unzulässige Verallgemeinerung":
Die ersten Wissenschaftler hatten für ein paar ganz wenige, winzig kleine Ausschnitte der Realität das Verhalten mit Hilfe der Mathematik exakt beschrieben und schon schlussfolgerten sie, das ganze Universum sei auf diese Weise in seinem Verhalten zu erfassen.
Eine solche Schlussfolgerung ist weder exakt, noch plausibel, noch zulässig und zudem auch sachlich vollkommen falsch, wie wir noch sehen werden. Eigentlich ist es gar keine Schlussfolgerung. Würde ich diese Schlussfolgerung in die Sprache der Mengenlehre übersetzen, dann würde sie in etwa lauten:
"Was für eine beliebige Teilmenge gilt, gilt auch für die Gesamtmenge."
Das ist natürlich Blödsinn. Dass solche Schlussfolgerungen dennoch getroffen und dann auch von vielen Menschen geglaubt werden, liegt einerseits an dem Nutzen, den sie für den menschlichen Verstand zunächst haben:
- Man konnte sich auf diese Weise der Kirche und der Religion entledigen.
- Die Wissenschaft übernahm von der Kirche das "Wahrheitsmonopol". Das heißt die Wissenschaft bestimmte von nun an mit ihren Kriterien, was als wahr gelten durfte und was als "unwissenschaftlich" zurückgewiesen wurde.
- Man hat durch die Verallgemeinerung die Illusion erschaffen: "Wir werden jetzt alle Probleme lösen" und damit das Defizit kompensiert, welches durch "die Trennung des rationalen Verstandes von seiner Quelle" (den Sündenfall) entstanden war.
- Man war nicht nur die Kirche, sondern auch Gott losgeworden. Kein "höheres", mächtigeres oder intelligenteres Wesen mehr über dem Menschen, mit dem man sich "Gott weiß wie" auseinandersetzen musste, sondern der Mensch stand nun ganz allein als "höchstes" und intelligentestes Wesen an der Spitze von allem.
Andererseits resultiert die außerordentlich große Glaubwürdigkeit der Wissenschaft (auch in all ihren Irrtümern) daher, dass der "wahre Kern" bzw. die "Ur-Wissenschaft" tatsächlich exakt ist. Die Ur-Wissenschaft ist sogar so exakt, dass für diesen Bereich die Gleichsetzung von Weltsicht und Realität durchaus akzeptabel ist bzw. zumindest keinen Schaden anrichtet.
Es bleibt folgendes an dieser Stelle festzuhalten:
- Die für gültige Schlussfolgerungen in der Mathematik klar festgelegten Regeln werden in der Wissenschaft jederzeit außer Kraft gesetzt, wenn das Ziel der Schlussfolgerung aus Sicht des rationalen Verstandes genügend attraktiv erscheint.
- Und das bedeutet: Nicht alles, was dem Menschen mit großer Überzeugungskraft wahr erscheint, ist auch tatsächlich wahr.