Grenzen überschreiten
Seine Weltsicht sagt einem Menschen in Form der Konzepte, wie er sich in bestimmten Situationen verhalten soll. Die Konzepte verknüpfen Situationen mit den passenden Verhaltensweisen. Die Konzepte basieren auf einem anderen Teil der Weltsicht: dem theoretischen Überbau. Die Ideen des theoretischen Überbaus erklären, wie die Welt "funktioniert".
Neben den bereits eingeführten Konzepten, die einem Menschen sagen, was er in bestimmten Situationen tun soll, gibt es noch eine andere Art von Konzepten, nämlich die, die einem Menschen sagen, was er in bestimmten Situationen auf gar keinen Fall tun darf. Das sind Konzepte, die dem Verhalten eines Menschen klare Grenzen setzen.
Eine Weltsicht ist eine Abbildung der Realität. Die Grenzen der Weltsicht bilden daher Grenzen ab, welche die Realität dem Verhalten des Menschen setzt. Die Grenzen, welche die Realität dem Verhalten des Menschen setzt, sind absolut bindend. Wer die Grenzen der Realität überschreitet, riskiert seinen Tod, schwere Verletzungen, schwere Strafen oder sonstige erhebliche Beeinträchtigungen seines Lebens. Die Grenzen der Realität müssen respektiert werden. Das bedeutet, dass auch die Grenzen der Weltsicht respektiert werden müssen - eigentlich.
Die Konzepte, welche das Verhalten des Menschen begrenzen, sind eng verbunden mit negativen Zukunftsprojektionen. In dem Moment, wo ein Mensch sich mit seinem Verhalten einer dieser Grenzen nähert, zeigt ihm die negative Zukunftsprojektion unmissverständlich an: "Bis hierher und nicht weiter", indem sie ihm die schlimmsten Schreckensszenarien vors "innere Auge" projiziert. Es handelt sich dabei um eine lebensnotwendige Schutzfunktion der menschlichen Psyche.
Wenn wir im Erkenntnisprozess die bewusste Konfrontation mit einer negativen Zukunftsprojektion anstreben, dann bedeutet das, dass wir eine der Grenzen der Weltsicht ganz bewusst überschreiten. Aber wie kann das sein? Wieso überschreiten wir eine Grenze der Weltsicht, wenn es sich dabei um eine lebensnotwendige Schutzfunktion handelt?
Weil Weltsicht und Realität eben nicht deckungsgleich sind. Es gibt 3 Fälle zu unterscheiden:
- Die Weltsicht stimmt mit der Realität überein. Die Grenzen der Weltsicht sind auch Grenzen der Realität. Sie dürfen nicht überschritten werden.
- Die Weltsicht bildet eine Grenze ab, die es in der Realität nicht gibt. Die Weltsicht verbindet ein Verhalten mit einer negativen Zukunftsprojektion, das in der Realität nicht zu einer negativen Entwicklung führen würde. Das Verhalten wird von der Weltsicht unnötigerweise eingeschränkt.
- Die Weltsicht bildet Grenzen NICHT ab, die es in der Realität aber gibt. Das sind Verhaltensweisen, mit denen man sich ganz real schadet, ohne es aber zu wissen, weil die Weltsicht keine negativen Projektionen mit solchem Verhalten verbindet.
Der Erkenntnisprozess löst sowohl 2. als auch 3. auf:
- Er überschreitet nicht-reale Grenzen der Weltsicht und
- er stoppt Verhaltensweisen, die dem Menschen schaden, ohne dass die Weltsicht darüber informiert.
Die innere Wahrnehmung ist der Schlüssel dazu,
- echte Grenzen von eingebildeten Grenzen zu unterscheiden
- und Grenzen zu erkennen, welche die Weltsicht nicht kennt
Die innere Wahrnehmung kann das, weil sie genau wie die äußere Wahrnehmung über eine unmittelbare und direkte Verbindung zur Realität verfügt - auch wenn der gegenwärtige Mensch von dieser Verbindung nichts weiß, weil er sie sich nicht erklären kann und sie nur aus Mythen kennt, die er weder ernst nimmt, noch auf die richtige Weise versteht.
Da diese innere Verbindung zur Realität im Rahmen der gegenwärtigen Weltsicht nicht darstellbar ist, werden entsprechende Wahrnehmungen abgewertet und erscheinen auf einer Stufe mit Hirngespinsten, die von einer falschen Weltsicht hervorgebracht werden.
Wir haben im Rahmen der inneren Wahrnehmung also beides nebeneinander: Hirngespinste, hervorgebracht von einer falschen Weltsicht und direkte Informationen aus der Realität. Beides voneinander unterscheiden zu lernen ist Teil eines Entwicklungsprozesses, den die Psyche durch wiederholte Anwendung des Erkenntnisprozesses durchläuft. Den Einstieg in diese Entwicklung bilden Probleme, die so drängend geworden sind und deren Aktionismus so offensichtlich ist, dass es dazu keine weit entwickelte innere Wahrnehmung braucht. Aber von Erkenntnisprozess zu Erkenntnisprozess wird die innere Wahrnehmung stärker und sensibler und lernt immer besser zu unterscheiden, was Aktionismus ist und was echte Problemlösung.