Sucht und Depression
Viele Aktivitätsimpulse des Ich werden durch die Weltsicht als nicht erfolgversprechend zurückgewiesen:
- Das Ich platziert eine Idee für ein Vorhaben, das es gern verwirklichen würde.
- Die Psyche erstellt zu dieser Idee eine Zukunftsprojektion auf der Grundlage ihrer Weltsicht.
- Die Weltsicht ist die wissenschaftliche Weltsicht: "Das Verhalten der Welt wird von Naturgesetzen und Zufällen bestimmt."
- Viele Ideen des Ich würden aber erfordern, dass die Welt bei diesem Vorhaben auf eine Weise mitspielt, die allein auf der Grundlage von Naturgesetzen und Zufall nicht zu erwarten wäre. Die Vorhaben des Ich erfordern zum Beispiel Gelegenheiten (begünstigende "Zufälle"), Fähigkeiten, Kontakte, Ressourcen wie Zeit und Geld, die reiner Zufall wohl kaum herbeizaubern würde.
- Die Zukunftsprojektion fällt deshalb negativ aus.
- Das Vorhaben wird verworfen.
Jedes Mal, wenn eine Idee des Ich auf diese Weise verworfen wird, fällt für das Ich die Erfüllung aus. (Erfüllung bedeutet, dass das Ich bekommt, was es will.) Aber das Ich braucht ein gewisses Maß an Erfüllung absolut unbedingt. Das ist ein Naturgesetz. Es ist eines der wichtigsten und grundlegendsten Gesetze überhaupt. Der Wissenschaft entgeht dieses extrem wichtige Gesetz, weil sie die über die innere Wahrnehmung zugänglichen nicht-materiellen Aspekte der Realität als irrelevant aus ihrer Betrachtung ausschließt.
Wenn das Ich in einem gewissen Ausmaß nicht bekommt, was es will, dann holt es sich die Erfüllung auf anderem Wege. Es kommt zur Ersatzbefriedigung und das wiederum ist die Grundlage von Sucht.
Sucht entsteht, wenn das Ich einen Mangel an primärer Erfüllung erfährt. Ich unterscheide
- primäre Erfüllung: was das Ich eigentlich wirklich will - unabhängig von allen Verfälschungen durch die Weltsicht und
- sekundäre Erfüllung: Ersatzbefriedigung die entsteht, wenn es einen Mangel an primärer Erfüllung gibt
Unerfülltheit und Sucht sind die häufigsten Ursachen dafür, dass das System "Mensch" aus dem Gleichgewicht gerät.
- Unerfülltheit bedeutet "irgendein wichtiges Element des Mensch-Seins zu wenig" und
- Sucht bedeutet "irgendein Element des Mensch-Seins zu viel". Das kann ein "reines Suchtmittel" sein, das außerhalb von Sucht nicht zum Mensch-Sein gehört (z.B. Drogen und Rauchen), aber auch ein legitimer Teil menschlicher Erfüllung, der zum Zwecke der Suchterfüllung stark übertrieben in Anspruch genommen wird (z.B. Essen, Beziehung, Sex, Genussmittel, Internet).
Im Zustand der rationalen Isolation gibt es kaum primäre Erfüllung. Unerfülltheit und Sucht sind erheblich viel weiter verbreitete Phänomene, als Menschen es sich eingestehen. Meist wird erst dann von Sucht gesprochen, wenn sie klinische Züge annimmt und das Leben ernsthafte Einschränkungen erfährt. Aber auf der gegenwärtigen Stufe der menschlichen Entwicklung gibt es nahezu keine Sucht-freien Menschen. Darüber hinaus sind zahlreiche Verhaltensweisen Suchtverhalten, die nicht als solches gesehen werden oder sogar als Fortschritt gelten - was sie aber absolut nicht sind. Der größte Teil menschlicher Energie wird in Suchtverhalten vollkommen sinnlos verbraten.
Sucht bedeutet, es wird etwas getan, um einen negativen Seinszustand zu vermeiden - nämlich den Zustand der Unerfülltheit.
Sucht führt IMMER zu Ungleichgewicht
- im Körper
- in der Psyche
- in der Umwelt
- im Klima (denn nicht nur die menschliche Energie wird zum größten Teil in Sucht verbraten, sondern auch die vom Menschen verbrauchte Energie)
Auf der gegenwärtigen Stufe der menschlichen Entwicklung finden die primären Formen von Erfüllung nahezu gar nicht bzw. nur in einem verschwindend geringen Maße statt. Die wirklichen Anliegen des Ich finden keine Erfüllung, weil "die Welt" jede Menge Anforderungen zu stellen scheint, die dem entgegenstehen. Aber das ist der Irrtum einer verdrehten Weltsicht.
Übrigens ist die Situation im Kontext religiöser Weltsichten auch nicht besser. Nur besteht der irrtümlich angenommene Widerspruch da nicht zwischen dem Zufall und den Interessen des Ich, sondern zwischen dem Willen Gottes und den Interessen des Ich.
Tatsächlich aber gibt es keinen Widerspruch zwischen "dem Lauf der Welt" und den Interessen des Ich. Es wäre eigentlich die wichtigste primäre Aufgabe des Ich, seinen ureigensten Interessen zur Erfüllung zu verhelfen. Nur wenige Menschen (wie z.B. Martin Luther) haben das im Kontext der Religion verstanden und noch viel weniger im Kontext der wissenschaftlichen Weltsicht.
Viele inner-psychische Vorgänge, die in diesem Buch Erwähnung finden, laufen auf der Entwicklungsstufe einer abgewerteten und deaktivierten inneren Wahrnehmung unterbewusst und automatisch ab. Erst die zunehmende Entwicklung der inneren Wahrnehmung macht sie dem Bewusstsein zugänglich. Auch die automatische Abwertung und Zurückweisung der wirklichen Anliegen des Ich wird erst mit einer zunehmenden inneren Wahrnehmung bewusst und in vollem Umfang gesehen. Eine gut entwickelte innere Wahrnehmung ist deshalb zwingende Voraussetzung für eine "Verwirklichung des Ich", die man auch als "Selbstverwirklichung" bezeichnen könnte.
Sucht zerstört zahlreiche Menschenleben.
Wenn die Kompensation von Unerfülltheit durch Sucht nicht ausreicht, dann kommt es zu Depression. Depression ist der emotionale Ausdruck der Unerfülltheit des Ich. Sucht und Depression bedingen sich gegenseitig. Depression kann mit Sucht in Schach gehalten werden. Wird ein Suchtverhalten eingestellt, ohne dass stattdessen primäre Erfüllung erzielt wird, dann schleicht sich entweder nahezu unbemerkt ein neues Suchtverhalten ein oder es kommt zu verstärkter Depression. (Die "Statistik-Wissenschaft" stellt dann einen Zusammenhang zwischen Kaffeetrinken und Depression her, ohne die tatsächlichen Zusammenhänge zu verstehen.)
Psychopharmaka unterdrücken lediglich die Symptome von Depression und stellen deshalb keine wirkliche Problemlösung dar. Werden sie abgesetzt, ist die Depression sofort wieder da. Der Preis für diese Scheinlösung sind zahlreiche Nebenwirkungen und eine erhebliche Beeinträchtigung der psychischen Leistung.
ADS/ADHS ist ein weiteres Symptom von Unerfülltheit, das sich besonders bei Kindern zeigt. Die nicht ausgedrückte Energie des Ich schafft sich einen Weg nach draußen und äußert sich in unkontrollierten, zuckenden Bewegungen.